Der Proceß - Analyse eines Romananfanges
Der vorliegende Romananfang des Buches „Der Proceß“, geschrieben von Frank Kafka, veröffentlicht im Jahre 1914/1915, handelt von Josef K, der in seinem Bett überrascht und festgenommen wird.Der Roman beginnt, indem Josef K aufwacht und davon überrascht wird, dass ein fremder Mann an seinem Bettende steht. Entgegen jeglichem Fordern und Fragen erfährt K von diesem Mann nicht warum er in Ks Wohnung ist. Stattdessen lehnt er Ks Forderungen teilweise spöttisch, dennoch höflich ab. Der Mann leitet K in das Nebenzimmer, wo ein zweiter Mann sitzt. Hier erfährt K auch, dass er verhaftet sei. Der Romanauszug endet, indem Ks Gedanken zur Frage des „Warum“ dargelegt werden.
Wie schon in der Einleitung erwähnt, stammt der Auszug aus dem unmittelbarem Anfang des Romans.
Gleich zum Einstieg schildert Kafka die Situation sachlich, faktisch korrekt (vgl. Z. 1-6). Die Unfähigkeit die Situation wirklich aufzunehmen wird somit stilistisch von Kafka unterstrichen, hebt somit die Ks Überraschung hervor. Das erste Auftreten der Wächter dahingegen ist viel weniger sachlich. Sie treten mit aufwendigen „schwarze[n] Kleidern, [den Reiseanzügen ähneln]“ (Z. 15-20) auf und bilden somit einen Kontrast zu K, der im Schlafanzug sehr verletzlich wirkt. Als Leser bekommen wir als erstes, bevor noch eine der Figuren etwas sagt das Machtverhältnis zwischen den Personen zu spüren.
Die erste Interaktion zwischen Wächter und K ist eine Frage Ks: „Wer sind sie?“ (Z. 21), welche ignoriert und übergangen wird. Stattdessen wird angemerkt, dass der Mann so auftritt, „als müsse man seine Erscheinung hinnehmen.“ (Z. 23f.) Es verdeutlicht das Machtverhältnis; die Wächter sind anstelle des Hausherrn die Autoritätsfiguren und haben alle Informationen, K ist nicht stimmberechtigt. Die Frage Ks mag zwar simpel aussehen, hatte aber bedeutende Absichten: Kontrollgewinnung durch Informationsaustauch, um das Machtverhältnis auszugleichen. Zu bemerken ist, dass K sehr höflich fragt, ob es eine Folge des Schocks oder eine Charaktereigenschaft ist, wird dem Leser überlassen. Im Laufe des Auszuges drängelt und quengelt K immer mehr nach Informationen, aus Verzweiflung, aus Panik und aus Verwirrung. Zum Beispiel befielt er, nicht kurz nach seiner ersten Frage, dass Anna ihm das Frühstück bringen soll (vgl. Z. 25f.), Betonung auf „Soll“ und die weniger freundliche Formulierung. Außerdem versucht K mit einschüchternden Blicken (vgl. Z. 27f.) nonverbal einen Eindruck zu hinterlassen. Die Reaktion fällt komplett aus, er wird erneut ignoriert, K hat also wenig Erfolg bei seinen Kontrollversuchen.
Die Wächter kommen erneut zu Wort, nach Ks bestehen auf Annas Frühstück. Sie verspotten ihn (vgl. Z. 33f.) und durch ihr Lachen erfährt K erst, dass mehrere Leute im Raum sind, erneut wird K im ungewissen gelassen. Die Wächter haben eine Art Humor: „Es ist unmöglich“ (Z. 40f.) sagen sie, auf Ks bitte.
K startet mit einer neuen Strategie Kontrolle zu gewinnen, nachdem der Spott der Wächter ihm zu viel wird: Er zieht sich an (vgl. Z. 42f.) K beharrt darauf zu sehen wer im Nebenzimmer ist mit der Formulierung „Ich will […]“ (Z. 43f.) und einer zunehmend aggressiven, frustrierten Haltung. Als die Wächter plötzlich sehr nett werden (vgl. Z. 51) wird K plötzlich sehr ungestüm. Der Wächter bleibt nett und gewährt K den Luxus des Wissens (vgl. Z. 55ff.), was K jedoch nicht davon überzeugt ihnen zu vertrauen, zu sehen in seinem Verhalten, als sie den Raum wechseln. K versucht sich nichts von seiner inneren Aufwühlung anmerken zu lassen, versucht nichts nach außen hin preiszugeben.
Im Nebenzimmer finden wir einen zweiten Wächter. Er sitzt und ließt ein Buch, schaut erst auf, als beide eingetreten sind (vgl. Z. 65), ein klarer Machtbeweis, genauso wie der Fakt, dass K erst jetzt den Namen des ersten Wächters erfährt, auch ein Machtbeweis ist. Dazu kommt, dass K jetzt wie auf einem Präsentierteller sitzt: Die Nachbarn schauen hinein (vgl. Z. 73) und gekoppelt mit der Präsenz eines weitern Wächters in einem Nebenzimmer löst dies Ks letzten „Ich will“-Satz (vgl. 76f.) mit einem verzweifelten Losreißen aus. Die Männer werden ein wenig freundlicher, sagen ihm, dass er verhaftet sei, was K niedergeschlagen ruhig erwidert. Der zweite Wächter fängt den einzigen längeren Redebeitrag eines Wächters an. In diesem stellt er klar, dass die Wächter jegliche Macht über K haben (vgl. Z.84f.), K sich keine Sorgen zu machen braucht, da alles gut werden wird (vgl. Z. 86-88) und, dass Franz und er sehr nett sind, was keine gegebene Sache ist. Wenn K genauso viel Glück hat wie bis jetzt, sollte er sich erst recht keine Sorgen machen (vgl. Z. 88-95). Der Handlungsstarke Abschnitt wird beendet, indem K darauf verweist, dass er keine Sitzgelegenheit hat und ihm auch dieses Privileg entzogen wurde.
Der zweite Abschnitt des Romanauszugs beschäftigt sich ausschließlich mit Ks Gedanken und Gefühlen, die auch nicht direkt nach dem ersten Abschnitt im Roman stehen. Es wird bestätigt, dass K ganz verunsichert und verwirrt ist (vgl. Z. 101-106f.) und der Leser erfährt einige zusätzliche Informationen über K, die er sonst nicht aus dem Text hätte lesen können. Es ist wenig relevant der uns bekannten Handlung gegenüber, jedoch erfahren wir, dass K „nicht den geringsten Vorteil, den er vielleicht gegenüber diesen Leuten besaß, aus der Hand zu geben“ (Z. 123-125). Der analysierte Romanauszug stellt eine komplizierte zwischenmenschliche Interaktion dar, in dessen Fokus K als Nichtsahnender und die Wächter als Autoritätsfiguren stehen. Der Auszug beschreibt außerdem ausführlich wie Ks Stimmung und Haltung sich gegenüber den Wächtern im Laufe von 100 Zeilen verändert und wie die Wächter mit K umgehen.
Mir persönlich gefällt der Auszug, was vor allem an Kafkas Schreibstil liegt. Ich finde, dass jede Komponente des Auszuges sich an die richtige Stelle gesetzt angefühlt hat und jede Information, die der Autor uns gab ungestört in Atmosphäre und Ton der Handlung hinüberfloss.